Ich und Dankbarkeit - Ein Gedankenspiel

Der Verfasser des Beitrags ist der Internetredaktion bekannt, möchte aber nicht öffentlich genannt werden**

Titelrolle: Ich, „ m/w/d“ - geboren zwischen 1995 und 2005

weitere Rollen: Menschen, die mir nahe stehen

Nebenrollen: Menschen, denen ich im täglichen Leben begegne

Gastrolle: Gott

 

Hey, …......

mal eine Frage an euch: Wie haltet ihr das so mit der Dankbarkeit? Dankbar sein für wen und was? Und was bringt mir das?

Entscheidende Mathe-Klausur vergeigt, Stress mit den Eltern wegen Überschreiten der Ausgangs zeiten am Wochenende, Auslandssemester geplatzt, Fahrrad vor der Turnhalle geklaut, lange Schlange vor der Kasse beim Discounter in der knappen Schulpause, mein Freund trifft sich heimlich mit meiner besten Freundin, spielentscheidenden Elfmeter im Pokalspiel verballert und ausgeschieden, Ärger in der WG wegen Putzplan, beim letzten Assessment Center rausgekickt worden, und so vieles mehr....... - Jetzt auch noch Danke. Nee, die Kurve kriege ich nicht. Da bin ich wohl blind auf den Augen.

Clara (16 Jahre): „Dankbarkeit ist ja etwas schwierig zu definieren. Wenn meine Mutter mir ein Eis spendiert, dann sage ich Dankeschön. Das ist etwas Normales und Alltägliches und geschieht spontan. Andererseits, wenn ich einmal in mich gehe, dann bin ich dankbar für gewisse Dinge, die beispielsweise meine Erziehung betreffen. Wenn ich etwa das Verhalten anderer Jugendlicher sehe, das mir nicht gefällt, dann denke ich, wie gut, dass meine Eltern mir dies und jenes beigebracht haben. Allerdings muss man sagen, dass viele Eltern ihrer Elternpflicht nicht nachkommen. Und wenn ich mir das vor Augen führe, bin ich meinen Eltern dankbar, dass sie genau das getan haben und nach wie vor tun, was gute Eltern tun. Für Eltern ist es aber nicht immer so leicht dies zu vermitteln. Mit dieser Art von Dankbarkeit ist es wie mit dem Glauben. Eltern und Großeltern können den Glauben weitergeben, aber irgendwann muss ich selbst entscheiden, was ich glaube, woran ich glaube. Irgendwann muss ich selbst zu einer Erkenntnis oder einer Entscheidung kommen“. (*1)

„ Die gesündeste aller menschlichen Emotionen ist die Dankbarkeit“. Diese Worte stammen von Hans Selye (Mediziner und Stressforscher). Nach seiner Beobachtung sind Dankbarkeit und Wertschätzung zwei ebenso unterschätzte wie für die psychische Gesundheit essentielle emotionale Haltungen. Doch gerade in schwierigen Momenten oder nach Schicksalsschlägen fällt es schwer, das Positive zu sehen. Wer dankbar ist, ist in der Lage, das Positive im Leben zu sehen und wertzuschätzen. Viele unauffällige Dinge im Alltag entziehen sich unserer Aufmerksamkeit. Sie sind selbstverständlich, dass wir sie oft erst dann bemerken, wenn sie plötzlich nicht mehr da sind. Die Dankbarkeit kommt leichter zu dem, der lernt auf Details zu achten. Doch die empfinden wir, wie das freundliche Lächeln, oft als nebensächlich – vor allem dann, wenn sonst alles schief läuft.(*2)

Jetzt einfach anfangen und alles mit neuen Augen anschauen, mit den Augen der Dankbarkeit. Und das soll klappen ? Als junger Mensch der Y- oder Z-Generation (Y= 1980-1999, Z=2000-2019) schaue ich doch schon viel. Bei den Social-Media-Plattformen im Internet wie Facebook, Twitter, Whatsapp, Instagram, Youtube, Tinder, Parship etc., da sind meine Augen ständig „ zu Hause“ und gut geschult. Aber jetzt: den Blick richten auf die aufgehende Sonne am neuen Morgen, das leckere Frühstück von Mama in Ruhe genießen, sich freuen, dass mein Körper einwandfrei funktioniert, dankbar den Atem zu spüren, der meinen Körper durchströmt, dankbar dem Vogelgezwitscher lauschen. Das Smartphone kann warten!!- Neue Augen, um die Schönheit in der Schöpfung bewusst wahrzunehmen und dankbar zu genießen, die Schönheit der Wiesen und Wälder, der Berge und Täler, des Meeres, der Flüsse und Seen, die Schönheit meiner Freundin/ meines Freundes.

Dankbarkeit ist wie ein Muskel, der trainiert werden kann. Ein Training, das sich vor allem in schlechten Zeiten auszahlt.(*2)

Nun muss ich noch lernen, für die Menschen zu danken, die mich schon lange begleiten. Eine Idee ? Vielleicht gelingt es mir ja so:

Ich bin dankbar für meine Eltern, die mir das Leben gegeben haben und zu mir stehen, obwohl ich ihren Lebensplan für mich und ihre Erwartungen nicht erfüllen kann. Und dafür, dass sie nicht ständig nerven, wenn es um Perspektiven für mein weiteres Leben geht.

Ich bin dankbar für meinen Freund, der mich zu Festivals und in Clubs begleitet um nach House und Electro abzufeiern, obwohl er lieber mit seinen Freunden ins Fußballstadion gehen würde oder am PC zocken würde.

Ich bin dankbar für meine Großeltern, die nicht immer versuchen mich zu belehren aufgrund ihres großen Erfahrungsschatzes. Und dafür, dass sie meine schon frühe gleichgeschlechtliche Beziehung mit meiner Freundin akzeptieren.

Ich bin dankbar für meine Freundin, die zu mir hält, obwohl ich nicht den Vorstellungen ihrer Familie entspreche und sie deshalb oft Auseinandersetzungen mit ihren Eltern hat.

Ich bin dankbar für meine Geschwister, die mich mit meinen Stimmungsschwankungen nicht angenervt links liegen lassen, sondern mich motivieren und auffangen.

Ich bin dankbar, dass mich meine Mitschüler trotz meiner Behinderung voll akzeptieren und mich an allem teilhaben lassen. Ich bin dankbar meiner Mutter, die mir schon seit Jahren als Alleinerziehende die optimale Schulbildung ermöglicht. Ich bin dankbar für die Lehrerin, die schwierige Phasen bei mir erkennt und mir oft Mut zuspricht um Lösungen zu finden, und sich dabei nicht hinter Punktebewertungen versteckt.

Ich bin dankbar allen Freunden/innen, dass sie mich nicht fallen lassen, wenn ich mal wieder richtig Sch...... gebaut habe und dafür im Netz runtergemacht werde. Sie halten zu mir und sind immer für mich da.

Ich bin dankbar für meine Familie, die mich aushält in all meinen Entwicklungsphasen wie in der Pubertät. Die mein erstes Date, meine Schmetterlinge im Bauch, meine Gefühle und meine Emotionen nicht durch übertriebene Regeln zerstören und mich trösten wenn meine Erwartungen sich nicht erfüllen. Weiter danke ich, dass man mir innerhalb der Familie Zeit zum chillen, Raum für eigene Ideen und Gedanken gibt und mir immer Vertrauen schenkt. Ich bin dankbar für die Möglichkeiten, die wir als junge Generation in unserem Land haben, unsere Klima-und Umweltsorgen ohne Einschränkungen in der Öffentlichkeit kundzutun. Und dafür, dass uns Politik und Gesellschaft ernst nimmt.

Ich bin dankbar, allen Seelsorgern und Gemeindereferenten/innen, die mich auf dem Weg zur Erstkommunion und Firmung begleitet haben. Ja, sie haben alles gegeben mit viel Einsatz und Herzblut. Nur die Tür war plötzlich zu für mich und der Weg zurück ist ein steiniger bei den Richtungsverschiebungen innerhalb der Kirche und der Gesellschaft. Es gibt nicht viele in meiner Generation, die „ kirchlich unterwegs“ sind. Aber vielleicht gelingt mir irgendwann die Rückkehr. Denn ich beobachte, dass viele Gemeinden den jungen Menschen Freiraum für Experimente ermög lichen um innovative Wege zu suchen und lebendige Aufbrüche zu gestalten. Es gibt Priester, Diakone, Ordensleute und Hauptamtliche die auch Heute begeistern können. Ja vielleicht so ein kleiner, erster Schritt auch für mich........?

Ich bin dankbar, ….............

Oh, mein Gott......., das ist jetzt nicht der häufig angewandte Aufschrei in der täglichen Umgangssprache, sondern ich rufe Gott bewusst an. Doch, ja ich glaube an ihn, auch wenn ich kein Kirchgänger mehr bin. Nun zurück zum Danken: mir fällt immer noch mehr ein. Und nun ??? Ich könnte und müsste ja täglich 24 Stunden danken.

Daher mein Angebot an Dich, mein Gott: Ich schicke Dir jeden Morgen ein Lächeln statt einer Gebetsformel als Dank.

 

Und dieses Lächeln trage ich weiter in den Tag hinein, in meine Familie, in die Schule, in die Mannschaft, in meinen Freundeskreis. Das Lächeln soll mich auch begleiten wenn ich Menschen begegne, die ich nicht kenne: den Kassierern/innen im Supermarkt, den Polizisten/innen bei den Kontrollen, der älteren Dame mit dem Rollator am Zebrastreifen, dem Obdachlosen in der Fuß- gängerzone, der farbigen Frau mit ihren drei Kindern in der Bahn.......

Lächeln ist ja gar nicht so schwer und ich glaube es wirkt schon ein wenig. Wow, habe ich jetzt was in mir bewegt?? Mit Lächeln zur Dankbarkeit. Gib mir mehr davon, mehr davon............

Wie oft hören wir zu, aber hören nicht hin

Und machen nur Pläne, damit da Pläne sind

Wie oft schauen wir zurück, so als wär`s zu spät

Und erkennen dabei das Glück nicht wenn es vor uns steht

Ich glaub` daran, dass es auch anders geht

Ich seh`die besten Tage vor mir

Ich will keine Minute davon verliere

 

Gib mir mehr davon, mehr davon.

    ( aus „ Mehr davon“ Song von Lotte 2020)

Euch ein Danke für das Lesen und „Zuhören“.

**Erlebte seine Jugendzeit in den 60er Jahren: Kuba-Krise, die Welt am Abgrund, Ermordung John F.Kennedys, 2. Vatikanisches Konzil (Papst JohannesXXIII.), Mauerbau in Berlin, Vietnam- krieg, Aufrüstung, Sonntagsbraten, Teilnahme an der Sonntagsmesse verpflichtend, Schulterlange Haare, Rohrstock in der Schule, Studentenbewegung 1968 mit Sraßenschlachten, Beatles, Rolling Stones, Jimmy Hendrix, Woodstok-Festival, Gras, Janis Joplin, The Who, Carlos Santana, Bob Dylan („The times they are changing“ - „Blowin`in The Wind“), lange Sommernächte mit Freunden und super Feten, und langsam Veränderungen in der Gesellschaft spüren und durchatmen können..... und laut seine Meinung sagen dürfen, dafür und für alles noch heute Danke mit einem Lächeln.

Quellen:

* 1 „ Dankbarkeit muss wachsen“ v. Christoph S., Katholische Kirchengemeinde St. Severin, Köln

* 2 „ Dankbarkeit – auch wenn`s schwer fällt“ v. Julia Vergin, DW Made for minds vom 09.04.2020 Fotos, Foto I Martin